Unsere Geschichte

Die Geschichte der Unabhängigen Frauenbeauftragten und des Grazer Frauenrats

1986 installierte Bürgermeister Alfred Stingl in Graz als erste Stadt Österreichs (!) eine Fraubeauftragte. Andere Städte und Bundesländer folgten. Im Unterschied zu anderen Städten war und ist die Grazer Frauenbeauftragte von Anfang an weisungsfrei.

Grete Schurz wird 1986 erste unabhängige Frauenbeauftragte der Stadt Graz. Am 18. Februar 1987 fand in Anwesenheit von zweiundzwanzig Frauen aus achtzehn Fraueninitiativen (zwölf autonome, zwei kirchliche, vier politische Gruppen), einberufen durch die Frauenbeauftragte der Stadt Graz, Grete Schurz, die konstituierende Sitzung des Grazer Frauenrates, vormals Frauenbeirat der Grazer Frauenbeauftragten genannt, statt. Um die Finanzierung des ersten Grazer Frauenhauses voranzutreiben hatte Grete Schurz verschiedene Frauensektionen aus Kirchen und Parteien, sowie andere Fraueninitiativen gewinnen können, mit ihr – letztlich erfolgreich – an einem Strang zu ziehen. Aus dieser Erfahrung und auch ihre Kontakte nützend, hatte Grete Schurz nun als Frauenbeauftragte ebenfalls bald einen Frauenbeirat um sich geschart. Grete Schurz war Teil des Frauenrates, aber sie war der erste, der bestimmende Teil darin. Es folgten Richtlinien, in denen Zielgruppe (nur Frauen, Fraueninteressensgruppen), Grundsätze (demokratisch, achtsam gegenüber der Vielfalt, respektvoll gegenüber Andersdenkenden), Aufgaben (Mitwirken an Problemlösungen, Aktionismus, Öffentlichkeitsarbeit), Aufnahmekriterien, Arbeitsweisen und Beschlussfassungsmodus formuliert waren. Diese Richtlinien einte alle Frauen im Frauenrat, sich für Interessen von, beziehungsweise für Frauen einsetzen zu wollen.

Vielfalt der vertretenen Organisationen (autonome, politische, universitätsnahe, kirchliche, Berufs-und Interessensvertretungen). Die Bandbreite reichte von den Frauenreferaten der drei Universitäten, vom Verband Frauen in der Wirtschaft zu Projekten von Alleinerzieherinnen oder Tagesmüttern, von den Frauenfraktionen der Parteien zum autonomen Frauenzentrum, von Frauenhaus und Frauennotruf für vergewaltigte Frauen zur Künstlerinneninitiative Eva & Co, von evangelischer Frauenarbeit und katholischer Frauenbewegung zu Gewerkschaftsfrauen und Berufsgruppenvertretungen, vom Frauendokumentationszentrum oder der Arbeitsgemeinschaft interdisziplinäre Frauenstudien zum Soroptimistinnen-Club und zum Verein Gelbe Tanten im Krankenhaus. Die Frauenrats-Aktionen umfassten Resolutionen, Beschwerdebriefe, Solidaritätserklärungen und das Weiterleiten konkreter Forderungen an die entsprechenden amtlichen Stellen. Außerdem wurden medienwirksame Auftritte im öffentlichen Raum durchgeführt, um auf Anliegen aufmerksam zu machen.1992 protestierte der Frauenrat erfolgreich gegen die von der Stadt geplante Einsparung der Unabhängigen Frauenbeauftragten. Der Frauenrat erarbeitet ein Anforderungsprofil für die Frauenbeauftragte, wurden mit der Ausschreibung und Auswahl der Bewerberinnen betraut.

Barbara Kasper wird 1995 Unabhängige Frauenbeauftragte. Die finanziellen Voraussetzungen ihrer Arbeit gingen konform mit den Belastungs- und Einsparungspaketen, die auf Bundes- und Landesebene geschnürt worden waren. 1996 formierte sich das UnabhängigeFrauenForum (UFF), das medial die Diskussion zur sozialen und materiellen Situation von Frauen in Österreich aufbereitete. Der Grazer Frauenrat war mit dem UFF solidarisch. Schwerpunkt: „Netzwerken“. Nicht nur Organisationen sollten Mitglied sein können, sondern auch Einzelfrauen, um vermehrt vom Austausch von Kontakten, Informationen und Ressourcen zu profitieren.

Doris Kirschner wird 1998 Unabhängige Frauenbeauftragte. Sie griff das Thema Richtlinien wieder auf und machte die Geschäftsordnung des Frauenrates. Vereint wurde gegen das „Lebenszentrum Graz“ und die Absetzung der Kärntner Frauenbeauftragten protestiert. Schwerpunkte: verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Verkürzung der Entscheidungsprozesse.

Daniela Jauk wird 2002 Unabhängige Frauenbeauftragte. Sie bezeichnete sich als Leiterin des Frauenrats und definierte diesen als „ein überparteiliches und überkonfessionelles Gremium. das es in dieser Form seit über fünfzehn Jahren gab. Wie keine andere nutzte sie das Gremium, um Themen öffentlichwirksam zu kampagnisieren und setzte wieder auf Aktionismus und Öffentlichkeitsarbeit:2002 protestierten Abgeordnete aller Parteien mit einer Delegation des Frauenrates als Frauenärztinnen verkleidet vor der Steirischen Gebietskrankenkasse GKK gegen die Vergabe einer Kassenstelle für Gynäkologie an einen Frauenarzt; 2003 fand zur – für Frauen nachteilige – Pensionsreform 2003 eine demonstrative öffentliche Frauenratssitzung auf der Grazer Herrengasse statt. Mit Daniela Jauk bekam der Frauenrat auch seinen ersten Internetauftritt. Als 2003 Graz Kulturhauptstadt Europas machte WOMENT! die Geschichte von Frauen sichtbar. Mit dem Doku Graz wurde plakativ!   verwirklicht. PLAKATIV! ist die Geschichte der Frauenbeauftragten der Stadt Graz in 20+03 Bildern. Anhand einer virtuellen Ausstellung mit vorhandenen Quellenmaterialien aus dem Archiv des Doku Graz werden die Aktivitäten und Leistungen der Frauenbeauftragten von 1986 bis 2003 dargestellt und gewürdigt. Die zentrale frauenpolitische Position der Frauenbeauftragten im Kontext frauen- und parteipolitischer Entwicklungen wird dargestellt und der Öffentlichkeit nachhaltig zugänglich gemacht. Das Projekt PLAKATIV! konnte nach 2003 aus finanziellen Gründen nicht fortgesetzt werden.

Brigitte Hinteregger wird 2004 Unabhängige Frauenbeauftragte. Gemeinsam mit dem Frauenrat protestierte sie gegen Einsparungsmaßnahmen bei verschiedenen Fraueninstitutionen und Frauengruppen auf. 2007 initiierte sie das „Lichtermeer gegen Gewalt an Frauen“. Ihre Öffentlichkeiten waren im Internet und Cyberraum.

2007 ging es darum, den Dienstvertrag zwischen Stadt Graz, dem Trägerverein und Frauenbeauftragter zu verlängern.  Dieser konnte nur provisorisch für das Jahr 2008 fortgeschrieben werden, da durch die Grazer Gemeinderatswahlen auch die Erstellung eines neuen Stadtbudgets ab 2008 bedeuteten. So musste die UFB vom Trägerverein gekündigt werden; parallel dazu legte dieser die Trägerschaft für die Frauenbeauftragte zurück.

Von Juli 2008 bis März 2009 war daher die Funktion der Frauenbeauftragten nicht besetzt.

Strukturen schaffen.

Die Frauenbeauftragte musste weiterhin weisungsfrei bleiben und das Anstellungsverhältnis zur sozialen Absicherung beibehalten werden. Aufgrund dieser Überlegung wurde der Vorschlag einer Trägerinnenschaft durch den autonomen Frauenrat aufgegriffen.Von Juli 2008 bis Jänner 2009 erarbeitete eine Arbeitsgruppe des Frauenrates die künftigen Statuten des Vereins, die Geschäftsordnung zwischen Vorstand und Frauenbeauftragter, die als Geschäftsführerin des Vereins eingesetzt wurde. Die Sitzungen des Frauenrats wurden statutarisch als ein Organ des Vereins verankert. Die erste Vollversammlung des „Verein Grazer Frauenrat – Unterstützung von frauenpolitischen Anliegen in der Stadt Graz“  fand am 10. Februar 2009 statt. Die Stelle der Frauenbeauftragten wurde 2009 unter den neuen Bedingungen neu ausgeschrieben, es erfolgte wie immer ein öffentliches Hearing und der Gemeinderat beschloss auf Betreiben der damaligen Frauenstadträtin Elke Edlinger am 29. April 2009 dem Verein auf fünf Jahre, einen Vertrag zu sichern und ein Budget von 80.000 Euro zur Verfügung zu stellen.

Maggie Jansenberger von 2009 bis 2014. UFB und Geschäftsführerin des Vereins Grazer Frauenrat. Ihre Motto: „Keine Tat ohne Frauenrat!“, „Stoppt sexistische Werbung!“ und „Stadt der Menschenrechte ist Stadt der Frauenrechte!“ In ihre Zeit fallen die Gründung der Watchgroup gegen sexistische Werbung, nach deren Vorbild Wien, Salzburg und Klagenfurt nachzogen, der Gemeinderatsbeschluss zur „Einbeziehung von Beiräten und speziellen Beauftragten in politische Planungen und Entscheidungen“ oder ein Pilotprojekt zur Frauenförderung bei der Ausschreibung von Dienstleistungen in der Stadt Graz. Drei Jubiläen fielen ebenso in ihre Funktionsperiode: 25 Jahre Frauenbeauftragte & Grazer Frauenrat, 100 Jahre Internationaler Frauentag und 30 Jahre Ratifizierung der Cedaw. Maggie Jansenberger nutzte ihre Funktion um breite, kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit für frauenpolitische Anliegen zu betreiben. Der Frauenrat erfuhr eine Öffnung für Vertreterinnen aus Kunst &Kultur, Frauen mit Behinderungen und Migrantinnen. Sie verstand ihre Rolle im Frauenrat als „prima inter pares“.

Anmerkungen

Nach mehr als 25 Jahren…

…des Ringens zwischen dem Streben nach Partizipation an Männerdomänen und dem Plädoyer für „andere“ Formen und Inhalte der Politik ist es der Grazer Frauenbewegung gelungen, die Brücke zwischen Autonomie und Institution zu schlagen. Statt weiterhin zu versuchen, ein Stück vom Kuchen zu ergattern, wurde ein neuer Kuchen gebacken: Eine autonome Institution, die formal in das etablierte politische System integriert ist. Dies konnte gelingen, weil es in dieser Zeit kollektive Lernprozesse und Bewusstwerdung innerhalb der Frauenbewegung gab und weil Frauen aus der Bewegung mit deren Rückendeckung zu agierenden Funktionärinnen der bestehenden Stadtregierung geworden waren, wo sie im Sinne der kollektiven Erfahrungen Entscheidungen herbeiführten. Eine der Stärken dieser selbst geschaffenen Struktur liegt darin, dass sie eine Sicherheit bietet, die wiederum Freiräume und das nötige Unruhepotential für Impulse, Frauenbelange zu berücksichtigen, zulässt. Weiters wird die Abhängigkeit von der Persönlichkeit, die den Frauenrat trägt, verringert und ihr zugleich größtmöglicher Spielraum eingeräumt. Und statt unberechenbar wechselnder Hierarchien innerhalb des Frauenrates, die dazu führten, dass gegenüber öffentlichen Institutionen immer wieder bei Null angefangen werden musste, wurde die spontane, spektakuläre Aktion als Strategie und Werkzeug mit Handlungsanleitung formell gefasst. Feministische Praxis nicht als Störung wahrzunehmen, sondern immer wieder bereit zu sein, die Beteiligung von Frauen auszuhandeln, deren Verweigerung als politisches Mittel zu lesen, deren Widersprüche zwischen öffentlichem und Privatbereich sichtbar zu machen und Geschlechterverhältnis zur Sprache zu bringen, sollte in Zukunft der Grazer Kommunalpolitik ebenso selbstverständlich sein, wie die ausreichende budgetäre Ausstattung des Vereins Grazer Frauenrat. Dessen Gründung ist in Österreich nichts weniger als ein praxispolitischer Meilenstein.

 

Text basierend auf “Die Geschichte des Grazer Frauenrats” von DrinMagaphil. Ursula Kiesling, Publizistik, Kommunikations- und Politikwissenschaften an der Universität Wien, Medienkunde und Geschichte an der Universität Graz; Forschungsschwerpunkte inösterreichischer Kulturgeschichte, Sozialgeschichte und bündnispolitischen Theorien.